Ausstellung Schwerte 2015

Holzschnitte 2013 – 2015

29. März - 10. Mai 2015
Kunstverein Schwerte

Sehr geehrte Mitglieder des Kunstvereins Schwerte,
lieber Andreas
liebe Freunde und Bekannte des Künstlers,
liebe kunstinteressierte Gäste,
meine Damen und Herren,

Andreas Rosenthal
Holzschnitte 2013 – 2015

ein sachlicher Titel, unprätentiös korrekt, fast lakonisch. Zugleich wirkt er historisch schwerwiegend, zieht er doch eine lange spezifische Historie des Bildermachens wie einen Schweif hinter sich her. Etwa 600 Jahre alt ist diese künstlerische Bildtechnik, zu Zwecken der Vervielfältigung und Verbreitung von Flugblättern und Pamphleten entwickelt. Wenige Exemplare aus der Zeit um 1400 sind heute noch erhalten. Das liegt nicht nur an der Vergänglichkeit des Trägermaterials, wie man bei Walter Koschatzky in der „Kunst der Graphik“ nachlesen kann, sondern auch am Mangel an zeitgenössischer Wertschätzung für diese frühe Gebrauchsgrafik. Was heute aktuell und im Druck ist, landet morgen in der Papiertonne und wird von neuer Aktualität überlagert.

Sie vermuten richtig, dass ich die Holzschnitte Andreas Rosenthal’s hier nicht verorten möchte. Selbstverständlich gibt es aber auch die hochkünstlerische Geschichte des Holzschnitts, wie z.B. die apokalyptischen Reiter Albrecht Dürers, den japanischen Holzschnitt des 17. Und 18. Jh. bis hin zu einer späten Blütezeit im deutschen Expressionismus. Heute ist die Anwendung der Technik eher selten geworden. Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, wie jemand dazu kommt, im Zeitalter des Performativen, der Installationskunst und der multimedialen Inszenierung zum Holzschnitt zurückzukehren oder dabei zu bleiben. Wieder vermuten sie richtig – es wird eine Antwort darauf geben.

Ein lakonischer Titel also - es wären auch andere denkbar gewesen. Lassen Sie mich ein paar Versuche machen – freihändig – ohne dass Sie sie auf die Goldwaage legen:

Eingrabung und Aufschichtung

Erinnerte Vorahnung

Zeigen – Zeichnen – Zeichen

Der Blick der Gebärde

Druckstellen

Kontaktzone

Die Geste des Berührens

Sie können die Formulierungen als eine Art Netz verstehen, das in der Hoffnung ausgeworfen wird, dass sich Bildphänomene, visuelle Empfindungen oder anschauliche Strukturen der Bildwelt Andreas Rosenthals darin verfangen mögen. Es sind Vorahnungen von Erkundungsrouten, die in die Bedeutungsschichten der Bilder hineinführen könnten.

Bevor ich auf die Bilder der Ausstellung näher eingehe, meine Bilderkundungen beginne, möchte ich ein paar allgemeinere Bemerkungen zum Umgang mit Bildern – zumal solchen der Kunst – vorausschicken.

Was soll das bedeuten?

Ob diese Frage Ausgangspunkt für eine eingehendere Beschäftigung mit einem Bildphänomen sein kann, hängt bereits davon ab, wie sie gestellt ist. Es kommt vor, dass sie weniger eine Frage ist, als der Ausdruck eines Unverständnisses, das sich von vornherein mit dem Zweifel an der Frag-Würdigkeit des Phänomens verbindet. Als Frage an den Kenner und Experten ist sie leider oft ein gewohnter Reflex auf eine Situation, die die Möglichkeit einer eigenen deutenden Wahrnehmungstätigkeit gar nicht mehr in Betracht zieht. Sie setzt das Verständnis lediglich beim Eingeweihten voraus. Dieser findet seine Aufgabe nun in der Mitteilung seiner Kenntnisse und dem Besucher selbst fällt lediglich die Aufgabe zu, das Gesagte nachträglich im Bild aufzufinden und wiederzuerkennen. Damit läuft das Bild Gefahr, als Widerpart einer je eigenen Auseinandersetzung mit Wirklichkeit verloren zu gehen. Es wird zur bloßen Illustration der Inhalte einer fachkundigen Interpretation. Das ist einer der Gründe, warum das Sprechen von Künstlern und Künstlerinnen zu ihren eigenen Werken nicht ungefährlich ist. Die Wahrnehmung ihrer Arbeit könnte sich unvermittelt in den Grenzen des gesprochenen Wortes eingepfercht finden. Auch für einen Redetext wie diesen ist das eine je neue Herausforderung.

Die Begegnung mit Bildern findet immer unter konkreten situativen Bedingungen statt z.B. an einem Sonntagmorgen in Schwerte, mit einem bestimmten Wetter, wolkenverhangen oder sonnenbeschienen, mit einer je individuellen Gestimmtheit, nach einer anstrengenden Arbeitswoche oder einer durchfeierten Samstagnacht, mit Aussicht auf die Ferien oder wenigstens ein paar Urlaubstage oder als Insel und Auszeit im Arbeitsalltag. Diese Bedingungen sind  nicht die des Entstehungsprozesses der Bilder, nicht die des künstlerischen Ateliers, in dem Andreas Rosenthal tagtäglich arbeitet, dem Material seine je besondere Form abtrotzt oder auch von ihr überrascht wird, wenn sie plötzlich und unvermutet vor ihm auftaucht. Am Arbeitsplatz des Künstlers lagert sich kulturelles Material seiner Zeit, seiner eigenen Biographie sowie das gestaltete Material des künstlerischen Prozesses ab. Immer wieder neu wird es buchstäblich oder imaginativ in den Strom der bildnerischen Arbeit hineingezogen – wieder aufgegriffen,  aufgehoben, transformiert, zermahlen und neu geschichtet. Der Künstler fungiert, in Anlehnung an Michel Foucault formuliert, als Archäologe des Sinns, der sich in den Bedeutungsschichten der Bilder und der Bildarchive abgelagert hat. Der Künstler ist aber zugleich die Quelle oder das Medium der sich neu bildenden, sich ablagernden Formen und Bedeutungen. Die heute gezeigten Bilder sind also Resultate eines Beziehungsgeschehens, aus dem sie nun herausgetreten sind, herausgefischt wurden, um sie zu präsentieren. Damit zeigen sie sich aber nicht nur uns heute morgen zum Teil erstmals, auch Andreas Rosenthal tritt seinen Bildern neu gegenüber als nun selbstständig gewordenen Artefakten mit eigenem Dasein, einer eigensinnigen Sichtbarkeit und eigener Geltung.

Von den Eigenschaften dieser Bilder zu sprechen, ihrer Bedeutung oder ihrem Sinn heißt aber erneut von den Eigenschaften einer Beziehung zu sprechen. Ohne die Beziehung zum Betrachtenden existiert das Bild nur als bloßes Material. In diesem Prozess zwischen uns und dem Bild oder den Bildern greifen zwei Bewegungen ineinander. Zum einen die in unserem Betrachten wirksamen Vorstellungen davon, was auf Bildern üblicherweise zu sehen ist, was sie bedeuten können, wie sie anzuschauen, zu behandeln oder zu beschreiben sind. Zum Anderen die Wirkungen des Bildes, das sich in unserer Wahrnehmung als etwas Gegebenes, Widerständiges und auch Unverfügbares zeigt.

Das heißt, was auch immer betrachtet wird, zumal wenn es um Kunst geht, so ist darin implizit nach dem Blick der oder des Betrachtenden gefragt. Einem Blick, der den Bildern – als  Gesten des Zeigens – begegnen kann, der sie dem Blickenden lebendig und ihn selbst zum Teilhabenden macht. Mit der Frage nach dieser Art und Weise des Schauens an die Bilder herantretend, tauchte für mich eine mögliche Antwort oder auch nur die Vorahnung einer Antwort in einer der dargestellten Gebärden auf. Sie erscheint gleich zweimal auf einer großen Bildfläche im östlichen Ausstellungsraum, die in allen Nuancen und Schattierungen eines glühenden Rots leuchtet. Alle Handkonstellationen die dort zu sehen sind, sind der Gebärdensprache entnommen oder auch dem unübersehbaren Repertoire der bildkulturell überlieferten symbolischen Gesten entlehnt. Auf verschiedene Weise realisiert, erscheinen sie als Durchreibung rot auf weißlichem Grund wie im Licht einer Taschenlampe oder als Negativform mit strahlend roter Aura, als roter Liniendruck aufglimmend oder weiß wie ein Leuchtdraht vor dunklerem Hintergrund.

Ich greife eine dieser Gebärden heraus ohne damit ausschließen zu wollen, dass auch andere die Spur zu einer möglichen Antwort auf die Frage nach dem Blick legen könnten. Ich beschreibe sie kurz.

Wenn sie mögen, führen Sie sie währenddessen selbst aus. Das sage ich nicht nur, weil es etwas zum Mitmachen geben soll, sondern  - um es an dieser Stelle nur erst anzudeuten: die Bildwelt von Andreas Rosenthal hat eine körperlich-materielle Dimension, die nach einem Blick verlangt, der sich seiner leiblichen Existenz bewusst ist.

Die Gebärde geht so: Die linke Hand bildet quasi eine horizontale Fläche. Die Handfläche weist nach unten, vielleicht etwas zum Körper hin. Die Finger sind geschlossen. Der ausgestreckte Zeigefinger der rechten Hand zeigt nun auf den Handrücken der ausgestreckten Linken und berührt ihn leicht. Bleiben Sie einen Moment so, bevor Sie die Hände wieder zurücknehmen.

Die Bedeutung dieses Zeichens aus der Gebärdensprache ist hier für den Moment nicht wichtig. Sie können den Künstler später befragen. Er kennt sie alle.

Was macht diese Gebärde bemerkenswert?

Der ausgestreckte Zeigefinger zeigt auf etwas. Die Geste des Zeigens ist seit jeher mit der Kunst der Bilder verbunden. Sie weist in diesem Falle aber nicht aus dem Bild hinaus auf etwas da draußen, das eigentlich gemeint ist, das dargestellt aber nicht anwesend ist, auf das wir erst kommen müssen oder worüber uns jemand aufklären muss. Hier richtet sich der zeigende Finger zugleich auf den Leib des Gebärdenden zurück, auf seine verletzliche Oberfläche, auf die er nicht nur hinweist, sondern die er berührt. Gerade in der Berührung steckt aber nicht nur das, was zu sehen ist, sondern auch das, was berührt werden kann: die Haut des Bildes, seine Materialität. Auf den Rosenthalschen Bildoberflächen wird „mit Hochdruck“ gearbeitet, aus vielen einzelnen Druckstöcken und Druckvorgängen wird eine Bildstruktur aufgebaut, auf ihnen wird geschabt oder gepresst, es wird gerollt, geschüttet und mit dem Pinsel verteilt. Auf ihnen überlagert sich Schicht auf Schicht, aus ihnen taucht etwas auf und sinkt in sie ein. Der Künstler erwähnte in einem gemeinsamen Gespräch, er sei kein Maler. Das ließe sich auch in diesem Sinne verstehen: Es geht um eine materiell-sinnliche Qualität der bildlichen Oberfläche nicht um die Malerei als Kunst des illusionistischen Bildraumes.

Die Bilder Andreas Rosenthals sind Kontaktflächen, Zonen des Berührens, des sich Eingrabens, des Druck-Ausübens. Sie wollen ertastet sein. Aber halt – nicht dass Sie mich missverstehen – anfassen dürfen sie die Bilder nicht. Das Berühren, von dem ich zu sprechen versuche, bedeutet etwas anderes. Das klingt ein bisschen geheimnisvoll und vielleicht auch etwas kompliziert, lassen sie es mich aber trotzdem einmal so ausdrücken:  Es geht um einen Blick, der sich wie ein Tasten gebärdet.

Bevor wir auf diesen Gedanken zurückkommen, treten wir ein paar Schritte zurück:

Erste Szene:

Stellen Sie sich einen Mann vor, der eine dünne Schichtholzplatte auf dem Boden befestigt hat. Er hält in seiner Hand ein Werkzeug, mehr Hacke als Beil, in der Fachsprache des Zimmermanns auch Flachdexel genannt. Er beginnt nun, auf das Holz am Boden einzuschlagen. Es splittert, Holzspäne fliegen, die Oberfläche der Platte wird malträtiert, aufgehebelt. Die rotierende Scheibe eines Winkelschleifers reißt die Oberfläche auf, hüpft vibrierend über das schon schrundige Holz. Die Schläge und Kerbungen sind nicht blindwütig aber mit Kraft ausgeführt. Sie lassen sich nicht durch eine Regel gängeln, doch sind sie nicht wahllos. Sie sind nicht in einer Form gefangen, dennoch bringen sie eine Form hervor.

Zweite Szene:

Stellen Sie sich einen Mann vor – oder stellen Sie sich auch eine Frau vor – die  an einer Mauer steht und einen Hammer schwingt. Vielleicht steht sie auch darauf. Beharrlich holt sie aus, immer wieder versetzt sie das Werkzeug in eine weit ausholende, kraftvoll schwingende Bewegung, die das schwere Metall auf die inzwischen schon brüchig werdende, steinerne Oberfläche niedersausen lässt. Sie ignoriert die Metallarmierung und setzt Schlag auf Schlag. Sie möchte nur, dass dieses Ungetüm, das einzig und allein als Mittel der Kontaktsperre, zur unüberwindbaren Trennung zwischen Menschen gesetzt wurde, quer durch die Stadt, durch Familien, durch Freundschaften hindurch, dass diese Grenze endlich im buchstäblichen Sinne nachgibt – zerbricht.

Ob diese beiden Szenen etwas miteinander zu tun haben? – Ja da dürfen Sie versichert sein.

Die erste Szene spielt in einem Künstleratelier in Münster, im alten Hochbunker am Hermannstadtweg im Jahr 1993. Das Kunststudium an der Münsterschen Abteilung der Kunstakademie Düsseldorf, der heutigen Kunstakademie Münster, die Andreas Rosenthal als Meisterschüler von Prof. Gunter Keusen verließ, liegt zu diesem Zeitpunkt schon mehr als15 Jahre zurück. Er hat inzwischen verschiedene Grafik-Preise und langjährige Lehraufträge für experimentelle Grafik an verschiedenen Hochschulen erhalten. Die geschilderte Szene beschreibt die Entstehung der Druckstöcke, aus denen die Groß- und Mittelformate des südlichen und westlichen Ausstellungsraumes aufgebaut sind. Die „Brocken“, wie der Künstler sie selbst nennt, sind also regelrecht aus einem Grund herausgeschlagen, herausgebrochen worden. In den aktuellen Arbeiten sind sie weiß oder hell auf einen schwarzen oder dunklen Hintergrund gesetzt, In den ursprünglichen Abzügen sind die Platten einzeln schwarz auf weiß klassisch traditionell gedruckt. Einige davon sind auch in dieser Ausstellung zu sehen.

Wie kann man sich als Künstler zum historischen Ereignis des Mauerfalls zu Berlin verhalten? Wie kann man das verarbeiten? Wie sollte man das darstellen? Man kann es nicht. Man darf das nicht machen! Zu groß ist die Gefahr, dass das zu einer platten politischen Illustration verkommt. Wenn man aber andererseits daran künstlerisch nicht einfach vorbeigehen will, nicht vorbeigehen kann? Wenn die Unmöglichkeit, sich darauf zu beziehen, einem als die eigentliche Herausforderung erscheint?

Wie hängen die beiden Szenen nun miteinander zusammen? Das, was der Künstler Andreas Rosenthal tut, löst das geschilderte Problem nicht einfach, sondern hat es ihm erlaubt, daran oder vielmehr darin zu arbeiten. Was ihm in dieser unmöglichen Situation übrigblieb, war die Geste des „Wieder-Holens“, des buchstäblichen Hineinholens des Ereignisses in die eigene körperliche Aktion. Die Spuren dieser Aktion, der aus der Oberfläche des Holzes herausgebrochene Stein wird zu einem Bild, das gleichzeitig jeden darstellenden Verweis, jede illustrative oder interpretierende Kommentierung des historischen Ereignisses verweigert. Insofern geht es auch nicht darum, heute in dieser Ausstellung die Steinbrocken symbolisch als Teile der inzwischen weitgehend spurlos verschwundenen Berliner Mauer zu betrachten. Aber die Spuren der körperlichen Kraft, der Energie der Handlung, die sich an diesen Druckflächen bis zur Erschöpfung aber beharrlich abgearbeitet hat, ist in den grafischen Strukturen noch sichtbar. Jedenfalls für einen Blick, der in der visuellen Form die Spur der Handlung zu sehen vermag. Für einen Blick, der das Visuelle in das Leibliche zurück- und auf diese Weise in sich hineinholt. Die Gebärde, der zeigende Finger weist nicht nach Berlin oder in die Geschichtsbücher oder auf die Gedenkstätten, sondern auf die konkret-leibliche, materielle Präsenz seines eigenen Daseins.

An diesem Punkte der Erkundung angelangt, fallen andere Phänomene der Ausstellung bzw. der in ihr präsentierten Werke auf. Die drei Ausstellungsräume zeigen sich nun in einem besonderen Licht:

Betreten wir den östlichen Raum mit zwei roten Großformaten, geraten wir in ein körperlich dimensioniertes Kraftfeld zwischen zwei rotglühenden Bildfeldern. Das eine dunkler – teilweise  geschwärzt, das andere durchdringend – hier und da hell aufleuchtend. Die durch unterschiedliche sich überlagernde Druck- und Übertragungsverfahren strukturierten Bildoberflächen lassen Gebärden wie flüchtige Erscheinungen aufstrahlen und vergehen in einem unaufhörlichen Wechselspiel von Figur und Grund, Geste und Farbauftrag. Die Phänomene flackern und verlöschen, lösen sich unaufhörlich ab, fallen sich ins Wort, tauchen auf und ab im Hin und Her. Als prozessuales Geschehen antworten die beiden raumdominierenden Flächen aufeinander. Sie sind ebenso Bilder wie sie andererseits im Gegenüber den Charakter einer Rauminstallation annehmen.

Der südliche Ausstellungsraum zeigt eine Werkgruppe, in der die Druckstöcke der „Steine“, von denen vorher die Rede war, eine spezifische Verarbeitung erfahren haben. Weckten die roten Bildflächen des Ostraumes die Assoziation von Glut und Hitze, sinkt hier die Temperatur merklich ab. Als hätte die zeitliche Distanz zur Entstehung der Druckstöcke sie bis über die Frostgrenze hinaus erkalten und erstarren lassen. Das Sehen verlangsamt sich. Flüssige weiße Farbschlieren senken sich wie Nebel auf die graphischen Schrunden und Kanten herab. Die splittrige Oberflächenstruktur der „Steine“ sticht zum Teil kontrastreich aus dem bläulichen Nebelgrau der Bildflächen heraus, zum Teil ist sie ausgebleicht und frostgefärbt. Die „Brocken“ verschmelzen miteinander und mit dem Bildgrund und treten in den nun stärker geöffneten Bildraum zurück. Ein panoramaartiges Querformat lässt Assoziationen zum Eismeer von Caspar David Friedrich aufkommen und die Frage, ob die energische Aktion, aus der die Steine hervorgegangen sind, nur noch im Modus der Erinnerung, nur noch wie ein fernes aber vernehmbares Echo im Frostnebel verebbt.

Der letzte, westliche Ausstellungsraum mit den jüngsten Arbeiten zeigt dann nochmal einen ganz neuen Umgang mit den bereits vor 20 Jahren geschlagenen „Ur-Steinen“. Unterstützt durch das körperlich dimensionierte Hochformat hat der Eindruck von Schwere und Präsenz zugenommen. Der von den Steinkonglomeraten ausgehende Eindruck changiert zwischen Geröllansammlung, wie sie einem auf einer Wanderung im Gebirge begegnen mag und ruinöser Spur einer architektonischen Setzung. Die Druckstöcke fungieren aber nicht einfach als illusionistisches Darstellungsmittel für einen Geröll- oder Ruineneindruck. Auf zwei der vier Hochformate springen z.B. rote Druckformen ins Auge. Auf den ersten Blick wirken sie wie die Stempel auf einer chinesischen Tuschezeichnung, mit der der Autor seine Urheberschaft bekundet. Als Spur eines Abdrucks springen dadurch auch die übrigen weiß auf schwarz gedruckten Formen aus der Tiefe des dargestellten landschaftlichen Bildraumes nach vorn in die Präsenz der Oberfläche. Der Bildgrund, der das Licht verschluckt, lässt die sich abdrückende, schartige Splitterstruktur der Druckstöcke deutlich hervortreten, so dass man fast meinen könnte, dass auf den Oberflächen der Steinbrocken Bilder im Bild erscheinen.

Holschnitte

Kommen wir auf unserer Bildwanderung am Schluss wieder auf den Titel zurück. Auch einige der denkbaren Alternativen seien noch einmal aufgerufen:

Eingrabung und Aufschichtung
Erinnerte Vorahnung
Druckstellen
Kontaktzone
Die Geste des Berührens

Die materielle Präsenz der Oberfläche, auf die der Finger der Gebärde zeigt, die Kontaktzone, auf der ein taktiler Blick umherschweift, sich vortastet, sich eingräbt oder hineinsinkt und wieder auftaucht, ruft auch den Betrachtenden selbst in eine neue Präsenz, in eine neue Aufmerksamkeit.

Ihnen allen wünsche ich, dass sie dieser anderen Präsenz und Aufmerksamkeit heute in dieser Ausstellung, in den Bildern und in sich selbst begegnen werden. Dass Sie sie heute oder in den nächsten Wochen immer mal wieder in die eigene Empfindung zurückholen können.

Ich danke Ihnen allen für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!

Und wünsche ihnen mit den Bildern Andreas Rosenthals wie im gegenseitigen Miteinander vielfältige Berührungspunkte, eine lebendige Kontaktaufnahme und natürlich einen wunderbaren Sonntag.

Die Ausstellung
Andreas Rosenthal – Holzschnitte 2013 – 2015 ist hiermit eröffnet.

 

Ausstellung Schwerte 2015
29.03. - 10.05.2015 | Kunstverein Schwerte
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